Jede siebte beobachtete Abschiebung problematisch
Elena Vorlaender
"Der politische Druck, Abschiebungen konsequent umzusetzen, ist insgesamt spürbar gestiegen", stellen Dalia Höhne und Elena Vorlaender in dem Bericht fest. Dennoch müsste den Menschen, die ihre bisherige Existenz aufgeben und woanders neu anfangen, stets mit Menschlichkeit und Respekt begegnet werden.
14 Prozent der beobachteten Abschiebungen über NRW-Flughäfen problematisch
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 8.970 Menschen über Flughäfen abgeschoben; 1.886 dieser Abschiebungen erfolgten über nordrhein-westfälische Flughäfen. Die beiden Abschiebungsbeobachterinnen Dalia Höhne und Elena Vorlaender waren bei rund 800 Einzel- und Familienabschiebungen dabei. 112 stuften sie als problematisch ein. "Dabei ging es vor allem um die Abschiebung von Erkrankten und mögliche Gefährdungen des Kindeswohls", sagt Elena Vorlaender. Im vergangenen Jahr wurden lediglich 8,4 Prozent der beobachteten Abschiebungen zur Diskussion ins "Forum Flughäfen in Nordrhein-Westfalen" gegeben.
Zu dem Forum, das sich einmal im Quartal trifft, um problematische Abschiebungen kritisch zu diskutieren, gehören neben der Diakonie RWL noch die evangelische und katholische Kirche, weitere Nicht-Regierungsorganisationen wie Amnesty International, Pro Asyl, der Flüchtlingsrat NRW, die Liga der Freien Wohlfahrtspflege, UNHCR sowie das NRW-Flüchtlingsministerium, die Bundespolizei und die Zentralen Ausländerbehörden.
28 Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung
In ihrem Jahresbericht stellen die Beobachterinnen fest, dass im vergangenen Jahr bei Abschiebungen nicht immer der Infektionsschutz gewahrt wurde. So hätten Behördenvertretende ihren Mund-Nasen-Schutz nicht immer durchgehend getragen. Im Wartebereich und Terminal seien Abstände nicht eingehalten worden. Zudem wurden Menschen aus Risikogruppen in Hochrisikogebiete abgeschoben. In zwei Fällen seien Personen aus stationären Einrichtungen heraus rückgeführt worden.
28 Fälle von möglicher Kindeswohlgefährdung wurden an das Forum herangetragen. In Einzelfällen seien Familien auseinandergerissen worden. In einem Fall habe die Behörde einen Jungen aus einem Kinderheim heraus abgeschoben. "Wir erleben immer wieder, dass sich der Druck und Stress an den Jüngsten entlädt", so die Beobachterinnen. Bei Abschiebungen müsse das Kindeswohl immer an oberster Stelle stehen. Abholungen zur Nachtzeit, das Auseinanderreißen von Familien und fehlende Kinderschutzfachkräfte – all das dürfe es eigentlich nicht geben.
Hintergrund:
Seit 20 Jahren gibt es die Abschiebungsbeobachtung NRW. Sie wurde gegründet, nachdem Aamir Ageeb 1999 während des Abschiebeflugs von Frankfurt in den Sudan starb. Polizisten des Bundesgrenzschutzes hatten ihn gefesselt und drückten seinen Oberkörper immer wieder in Richtung Oberschenkel. Der 31-Jährige erstickte. "Der Fokus lag nach dem Tod von Aamir Ageeb vor allem auf der Anwendung von unmittelbarem Zwang und Gewalt", sagt Dalia Höhne. Auch zum 20. Jubiläum zeigt sich: Die Abschiebungsbeobachtung wird dringend gebraucht. Die Problemlage habe sich lediglich verschoben. Akute Gewalt käme seltener vor. Dafür gehe es immer häufiger um das Wohl von Kindern und die Abschiebung von Erkrankten.
Einen Artikel zur Veröffentlichung des Jahresberichts mit einer ausführlicheren Beschreibung der im Forum diskutierten Fälle finden Sie hier.
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